Der Perfektionist – ein Gefangener seiner Selbst

Der Perfektionist möchte natürlich alles so perfekt wie möglich erledigen und legt dementsprechend seine eigene Messlatte haushoch. Es gibt etliche Berufe, in welchem man ohne einen gewissen Perfektionismus nicht weiter kommt. Doch was das tägliche Leben angeht, kann einem der Perfektionismus ganz schön die Lebensqualität rauben.

Solche Menschen leiden oft in zweifacher Hinsicht unter ihrer eigenen Einstellung:

  • erstens stehen sie dauernd unter Zeitdruck, da das perfekte Erledigen viel Zeit in Anspruch nimmt
  • zweitens ist ein Perfektionist einfach nie zufrieden und findet immer noch etwas, das noch besser sein könnte.

Dem entsprechend leidet auch das Selbstvertrauen, da man ja fast immer der Meinung ist, man hätte es doch noch besser machen können, ist aber dazu nicht fähig. Ich selbst kann ein Lied davon singen! Da ich früher wettkampfmässig Sport betrieben habe war es für mich selbstverständlich, meine Messlatte hoch anzusetzen. Das ist auch notwendig, sonst kommt man nicht nach oben. Doch im normalen Leben kann dies zur Qual werden, ja sogar zu einem Burnout führen! Irgendwann überfordert man sich selbst so sehr, dass man die einfachsten Dinge nicht mehr auf die Reihe kriegt – die absolute Horrorvorstellung für einen Perfektionisten!

Prioritäten setzen – das A und O!

Es gilt zu erkennen, was wirklich perfekt gemacht werden muss, wo auch ein „sehr gut“ oder gar nur ein „gut“ reicht. Genau das ist der grösste Stolperstein eines Perfektionisten. Denn er möchte alles – sogar die unwichtigste Tätigkeit – einfach perfekt erledigen. „Perfekt“ definiert sich natürlich nach seinen eigenen Massstäben: „Perfekt hoch 10“!

Tagtäglich erlebe ich die Leiden eines Perfektionisten – nämlich meinem Partner – mit. Fast dauernd ist er unter Zeitdruck, da das perfekte Erledigen einer Arbeit viel Zeit in Anspruch nimmt. Sehr selten hat er einfach Zeit für sich selbst. Vielfach ist er mit sich unzufrieden, da er auch mit seiner Leistung infolge des  Zeitmangels unzufrieden ist. Auch kommt noch der Ärger hinzu, weil Arbeiten von anderen Menschen nicht perfekt gemacht (unter anderem auch meine Wenigkeit = Streitpotential!) wurden oder die Qualität eines Produktes nicht stimmt. Da entsteht ganz gewaltiger Stress für ihn. Je mehr jedoch ein Perfektionist unter Stress steht, desto schwieriger wird es natürlich auch, die Dinge nach seinem hohen Qualitätsstandard zu erledigen.

Da ich diese Gefühle sehr gut kenne und über die Jahre aus eigener Erfahrung klüger geworden bin, versuche ich nun „meinem“ Perfektionisten zu Hause mit auf den Weg zu geben, dass er unbedingt Prioritäten setzen muss.

Doch dies ist einfacher gesagt als getan! Wie sehr ein Perfektionist ein Gefangener seiner eigenen Vorstellungen einer perfekten Sache ist, zeigt sich darin wie schwierig es ist, ihn soweit zu bringen, dass er sich gestattet nur schon bei etwas wirklich total Unwichtigem, die Zügel seiner selbst aufgezäumten Kandare lockerer zu lassen.

Als anschauliches Beispiel dient hier die Glasschiebetüre der Duschkabine: da das Wasser auf den Armaturen und am Glas hässliche Wasserflecken hinterlässt, trockne ich alles nach dem Duschen mit einem Handtuch so ab, dass wenigstens keine oder nur wenige Wasserflecken entstehen können. Zeitaufwand bei mir: höchstens 2 Minuten, was in meinen Augen ja schon lange genug ist, wenn man nur eine kurze Dusche von 5 Minuten nimmt. Aber mein geliebter Perfektionist poliert die Armaturen auf Hochglanz und trocknet die kleinste Ritze aus, so dass er gut und gerne mindestens 10 Minuten oder mehr dafür benötigt. Die Duschkabine sieht danach wie frisch aus der Ausstellung des Sanitärgeschäfts aus. Auf der einen Seite ist das ja wunderbar aber da der Herr Perfektionist dann regelmässig in Zeitnot gerät, gestresst und somit eher ungeniessbar wird, habe ich ihm schon mehrmals folgendes vorgeschlagen: nur am Wochenende, wenn er genügend Zeit hat, die Duschkabine so perfekt auszutrocknen und durch die Woche, dies in etwa derselben Qualität zu tun, wie ich das mache. Ein aussichtsloses Unterfangen! Er kann dann einfach nicht aufhören, wenn er noch einen Wasserflecken sieht und schwupps sind schon wieder 10 Minuten rum.

Wie gerne würde ich ihn mal nur eine Woche in seinem Leben in dieser Angelegenheit coachen – nur was solche Dinge zu Hause angeht und definieren, wie die Prioritäten meiner Meinung nach zu setzen sind. Ich bin beinahe sicher, dass er plötzlich so viel Zeit wie noch nie in seinem Leben hätte… aber noch sind wir aber nicht so weit – ein heikles Thema wie man sich vorstellen kann! Und doch – ich könnte so (nicht mehr!) leben und es tut mir  leid zu sehen, wie sehr er sich jeden Tag reinkniet und doch nie auf einen grünen Zweig kommt, da er all seinen selbstauferlegten Qualitätsansprüchen gerecht werden muss.

Wenn ich in meinem Leben zurückschaue vermute ich, dass Perfektionisten nicht das grösste Selbstvertrauen haben. Sie müssen alles perfekt machen, damit sie reichen und müssen sich auch selbst beweisen, dass sie etwas perfekt, resp. in höherer Qualität als andere erledigen können. Zumindest war das bei mir so. Ich wollte alles so perfekt wie möglich machen, damit niemand aber auch gar niemand etwas aussetzen konnte und man mir Achtung und Respekt entgegenbrachte. Es gibt heute immer noch Arbeiten oder Dinge, die ich fast perfekt erledige – aber nur dann, wenn es wirklich nötig ist! Das habe ich inzwischen sehr gut im Griff und es ist eine Erlösung sondergleichen! Was alles andere anbelangt, habe ich den Anspruch  eine Sache so gut wie möglich zu machen (was eben nicht mehr perfekt heisst) und wenn es nicht so wichtig ist, wie zum Beispiel hinter der Stereoanlage Staub zu wischen, mache ich es einfach erst dann, wenn ich den Anblick selbst nicht mehr ertragen kann oder ich plötzlich aus unerfindlichen Gründen Lust dazu verspüren sollte. Ach ja, am Wochenende haben wir Fenster geputzt. Seit über 1Jahr das erste Mal! Ich hatte vorher keine Lust und war strikt dagegen, dass er es alleine macht – er hätte wohl den ganzen Tag dazu benötigt und ich hätte dann ein schlechtes Gewissen gehabt. Wir waren dieses Mal aber relativ schnell dank eines automatischen und daugenden Fensterputzabstreifers oder wie das Ding auch immer heisst. Eine Geduldsprobe musste ich aber dennoch bestehen, als ich zum wohlverdienten Aperitif schreiten schon mal das kaltgestellte Bier aus dem Kühlschrank holen wollte: im sich in den Scheiben spiegelnde Licht der untergehenden Sonne fand er bei fast allen Fenstern immer noch Schleier vom Trockenreiben…. was ein erneutes Wischen der zur Folge hatte.

image

Be joyful! You’re already perfect…

tatastalulah

Hinterlasse einen Kommentar